Warum wir das Wort „Trauma“ oft vermeiden
- Nicole Benning

- 16. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Ein stiller Blick auf Schmerz, Sprache und Selbstschutz
Es gibt Worte, die eine tiefe Schwere tragen. Worte, die man nicht einfach so sagt – nicht, weil sie verboten sind, sondern weil sie etwas in uns berühren, das wir vielleicht lieber nicht sehen möchten. „Trauma“ ist so ein Wort. Es klingt groß, gefährlich, fast wie ein Urteil. Und so geschieht es oft, dass Menschen, die Schweres erlebt haben, die auf eine Geschichte voller innerer Narben zurückblicken, trotzdem sagen: „Ich habe kein Trauma.“
Doch warum ist das so? Warum erkennen wir etwas so Offensichtliches nicht an – oder trauen uns nicht, es beim Namen zu nennen?
Manchmal ist es ein stiller Schutz. Unser Innerstes weiß: Wenn ich das zulasse, wenn ich es benenne, wird es real. Dann muss ich fühlen, was ich lange unterdrückt habe. Dann gibt es kein Zurück mehr in die gut eingerichtete Welt der Verdrängung. Das Gehirn ist ein wunderbarer Überlebenskünstler – es schützt uns, oft über viele Jahre hinweg. Es hilft uns, weiterzumachen, zu funktionieren, nach außen stark zu sein. Das Wort „Trauma“ würde eine Tür öffnen, die man vielleicht noch nicht zu betreten bereit ist.
Manchmal steckt auch Scham dahinter. In einer Welt, die Leistung, Kontrolle und Stärke feiert, scheint Verletzlichkeit keinen Platz zu haben. Viele fürchten, als „gebrochen“ oder „schwach“ abgestempelt zu werden, wenn sie zugeben, dass ihnen etwas wehgetan hat. Besonders wenn es um seelischen Schmerz geht, fällt es oft schwer, die richtigen Worte zu finden – oder überhaupt Worte zu finden. Denn nicht jeder Schmerz schreit laut. Manche graben sich still ein, über Jahre, und zeigen sich nur in Form von Müdigkeit, Anspannung oder innerer Leere.
Und dann ist da noch das Vergleichen. „Anderen ist Schlimmeres passiert.“ Diesen Satz hört man oft. Als ob es ein Recht auf Trauma erst ab einer bestimmten Schwelle gäbe. Als ob man es sich erst verdienen müsse, verletzt sein zu dürfen. Dabei vergisst man leicht: Trauma ist nicht das Ereignis an sich – es ist das, was in uns passiert, wenn etwas zu viel war, zu plötzlich, niemand da war um uns zu schützen.
Vielleicht müssen wir lernen, diesem Wort seine Schwere zu nehmen, ohne seinen Wert zu verlieren. Es als Einladung zu sehen – nicht als Urteil. Eine Einladung, sich selbst zuzuhören. Zu sagen: „Ja, da war etwas. Es hat Spuren hinterlassen. Und ich darf darüber sprechen.“
Denn hinter dem, was wir Trauma nennen, liegt nicht nur Schmerz. Da liegt auch Würde. Die Würde, etwas überlebt zu haben. Und die leise Hoffnung, dass Heilung möglich ist – nicht durch Vergessen, sondern durch liebevolles Hinwenden. Methoden wie EMDR zeigen uns, dass Veränderung möglich ist – selbst bei tief sitzenden Erfahrungen. EMDR hilft, das, was einst überwältigend war, behutsam zu verarbeiten, neu einzuordnen und den inneren Raum wieder mit Lebendigkeit zu füllen. Das Trauma bleibt Teil der Geschichte – aber es hört auf, die Gegenwart zu bestimmen.
So beginnt Transformation: nicht, indem wir vergessen, was war, sondern indem wir es anschauen – und den Mut finden, heilend hindurchzugehen.
Nicole
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