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Die Emotionszwiebel

Aktualisiert: 17. Juli

                 

Hannah sitzt geknickt bei ihrer 93-jährigen Schwiegermutter. Der Schwiegervater ist gerade gestorben, alle sind gerade in tiefer Trauer. Hannah kümmert sich seit über 30 Jahren mit um Haus und Hof und die letzten Jahre auch um die Pflege der Schwiegereltern.

Mit ihrem Mann und der Schwägerin, Josefine, wurde alles rund um die Beerdigung besprochen, doch nun gibt es Ärger. Plötzlich passt der Text der Karte nicht mehr, der Sarg ist falsch und der Termin für die Beerdigung passt auch nicht. Josefine greift sie persönlich an: „immer bekommt ihr euren Willen! Ich bin die Tochter! Ihr manipuliert Mama, gestern wollte sie auch noch den anderen Sarg …!

Hannah denkt, so geht das schon seit über 30 Jahren. Sogar das die Schwiegereltern ihr bei der Hochzeit angeboten haben sie „Mama“ und „Papa“ zu nennen war ihr ein Dorn im Auge. Ich mache alles so gut ich kann und doch ist immer alles falsch, denkt sie.


Warum kochen die Emotionen in solchen Situationen so hoch?

Der Wunsch bei allen ist friedlich und gemeinsam zu trauern, sich gegenseitig zu stützen in dieser schweren Zeit. Und doch verletzen wir andere und alte Verletzungen kommen zutage.

Um zu verstehen, was hier passiert, gibt es das Modell der Emotionszwiebel. Sie ermöglicht die eigenen Emotionen und das daraus resultierende Verhalten ebenso wie die des Gegenübers zu verstehen.


Der Kern – das emotionale Grundbedürfnis

Die Wurzel jedes verletzenden Verhaltens ist ein tief verankertes, emotionales Grundbedürfnis, das nicht erfüllt wurde. Dies kann, wie hier, ein unerfülltes Bedürfnis von Josefine nach Beziehung oder Bindung zu den eigenen Eltern sein.

Sie hat all die Jahre erlebt was für ein gutes Verhältnis Hannah insbesondere zu ihrem Vater hatte. Auch wenn ihr Vater sie immer geliebt hat war das Verhältnis doch nie so eng.


Die erste Schicht – die primäre Emotion

Auf der ersten Schicht könnte sich bei Josefine eine primäre Emotion wie Eifersucht und das Gefühl der Zurückweisung entwickeln, die aus den vergangenen Traumata resultieren. Stark negative Glaubenssätze wie “Ich bin nicht wichtig.” oder “Ich bin nicht gut genug.” könnten hier unbewusst zugrunde liegen und die Eifersucht auf Hannah nähren.


Die zweite Schicht – die sekundäre Emotion

Josefines sekundäre Emotion nach dem Tod des Vaters ist Wut. Die sekundäre Emotion dient ihr als schützender Ausweg aus der Hilflosigkeit (primäre Emotion – Eifersucht und Zurückweisung) und bringt sie zurück zur Handlungsfähigkeit.


Die äußerste Schicht – die Verletzenden Worte gegenüber der Schwägerin (Reaktion und Ereignis)

Die Handlungsfähigkeit zeigt sich in Josefines unangemessenem Verhalten. Es manifestiert sich in äußeren Handlungen, wie aggressiven Ausbrüchen oder Rückzug. Ihre Reaktion auf die Zurückweisung durch den Vater ist eine unbewusste Antwort auf die unerfüllten Bedürfnisse in ihrem Innersten.

In diesem Beispiel zeigt uns die Emotionszwiebel warum Josefine verletzend reagiert. Ihr unerfülltes Bedürfnis nach Bindung führt zu einer Kaskade von Emotionen, wie Wut, Aggression und Neid. Die äußerste Schicht zeigt sich in ihrem unangemessenen Verhalten als Reaktion auf die nicht erfüllten emotionalen Bedürfnisse.

Statt sich über den Konflikt zu ärgern, ist es ratsam zu hinterfragen, was der Konflikt uns zeigen will. Es ist also der Weg durch den Konflikt hindurch, und nicht um ihn herum, der uns hilft, nachhaltige Lösungen zu finden und emotionale Heilung zu ermöglichen.

 

Wie könnte eine Coachin der Familie helfen?


1) Raum für Gefühle geben – die sekundäre Emotion:

Durch einfache und klärende Fragen kann Josefines sekundäre Emotion, die Wut, identifiziert werden. Hierbei ist es wichtig, Raum für Josefines Perspektive zu schaffen und ihre Gefühle anzuerkennen.


2) Verständnis für die Verletzung zeigen – die primäre Emotion:

Die Coachin könnte Josefine dazu ermutigen, sich ihren Gefühlen zu stellen und zu verstehen, warum sie sich verletzt oder hilflos fühlt. Das Erkennen dieser primären Emotionen und das benennen ihrer Enttäuschung kann die Situation entspannen. Es ebnet den Weg, um über den Kern (Grundbedürfnis) wirklich offen sprechen zu können.


3) Anerkennung des Kerns – das emotionale Grundbedürfnis:

Die Coachin hilft Josefine ihr emotionales Grundbedürfnis nach Anerkennung und sozialer Verbindung zu erkennen. Wichtig dabei: Oft erkennen die von den Gefühlen übermannten Betroffenen nicht, welches Bedürfnis genau verletzt wurde. Josefine sagt hier zum Beispiel “Immer bekommt ihr euren Willen!”, doch es sind nicht die Entscheidungen, die sie gekränkt haben. Durch einfühlsame Kommunikation und viele Fragen kann die Coachin Josefine das Gefühl geben, dass ihre Bedürfnisse gesehen und verstanden werden.


4) Betrachtung der äußersten Schicht – die Wut und Beschimpfung (Reaktion und Ereignis):

In einem offenen Gespräch kann die Coachin jetzt mit Josefine über ihr Verhalten sprechen, ohne es zu verurteilen. Jetzt ist erst Raum, um ihre eigenen Grenzen und auch die Bedürfnisse von Hannah zu besprechen. Dabei kann sie zusammen mit Josefine z.B. an ihrem inneren Kind oder ihren Glaubenssätzen arbeiten.


5) Hinweis auf weitere professionelle Unterstützung:

„Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“. Bei tiefergehenden emotionalen Herausforderungen könnte die Coachin mit Psychoedukation – der Erklärung warum wir so handeln wie wir handeln - Hilfe leisten und Josefine erklären, “was bei ihr los” ist.

Die Coachin könnte auch EMDR- Sitzungen anbieten damit Josefine die alten Verletzungen verarbeiten kann und ein besseres Verhältnis zu Hannah bekommt.


Besser hinschauen, wenn es brodelt

Und immer dran denken:  Konflikte unreflektiert abzulehnen, ist wie die Milch am Überkochen zu hindern, ohne die Hitze zu reduzieren. Es ist, als würden wir versuchen, einen Damm mit bloßen Händen zu errichten, während der Fluss der Emotionen weiterhin mit ungeminderter Kraft fließt.

Egal wie sehr du dich für Harmonie bemüht hast, wenn sich ein Konflikt anbahnt, nimm die Emotionszwiebel und schäle sie.

 

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